Detlev Kraack:
Christian IV. in Segeberg (20.-22. September 1595)
Christian IV. in Segeberg (20.-22. September 1595)
Kurz vor Mitte September 1595 erreichte den landesherrlichen Amtmann Heinrich Rantzau zu Segeberg ein dringliches Schreiben seines Landesherrn und Königs. Der Absender des Schreibens, König Christian IV. von Dänemark (1577-1648), war im Begriff, eine Reise an den kurbrandenburgischen Hof zu unternehmen, und meldete sich mit seinem reisenden Hof jeweils für Hin- und Rückweg zu Zwischenhalten in Segeberg an. Unabhängig davon, dass der König und sein Gefolge am Ende von Warnemünde aus über die Ostsee nach Dänemark zurückkehrten, kam die Nachricht für Rantzau sicher nicht sonderlich gelegen, zumal sie einen erheblichen Aufwand nach sich zog und relativ kurzfristig erfolgte: Nur gut eine Woche später, am 20. September 1595, langte Christian, der in der Nacht zuvor bei seinem herzoglichen Verwandten Johann Adolf (1575-1616) auf Gottorf zu Besuch gewesen war, in Segeberg an. Und er kam nicht alleine, sondern führte ein stattliches Gefolge mit sich, dessen insgesamt 700 Pferde ebenfalls zu verpflegen und unterzubringen waren. In den Tagen zuvor hatte Heinrich Rantzau, der seit 1555 als Amtmann von Segeberg fungierte und seit 1556 den königlichen Landesherrn als dessen Statthalter in den Herzogtümern Schleswig und Holstein vertrat, ebenso rasch wie umsichtig alles zur Ankunft des fürstlichen Herrn Erforderliche vorbereiten müssen. So waren etliche seiner eigenen Diener neu eingekleidet worden, und er selbst hatte sich darauf eingerichtet, seinen königlichen Herrn auf dessen Reise an die norddeutschen Fürstenhöfe zu begleiten.
Am besagten Tag selbst zog der Amtmann dem Herrscher persönlich entgegen und empfing ihn mit „untertänigster Gebühr und Reverenz“ vor den Toren der Stadt, wie es in einem zeitgenössischen Bericht über die Ereignisse heißt. Außerdem ließ er bei dieser Gelegenheit wie dann auch wieder beim Abschied des Königs „großes Geschütz“ von dem „königlichen Hause zu Segeberg“ abschießen und die Bürger aus Oldesloe und Segeberg in ihrer Rüstung dem in die Stadt einreitenden Monarchen vor dem Segeberger Stadttor aufwarten. Zwei Tage sei der hohe Herr geblieben und habe sich unter anderem die vom Statthalter errichteten „Pyramiden“ angesehen, womit die Segeberger Kapelle bzw. Pyramide von 1588 und der 1590 in deren unmittelbarer Nachbarschaft errichtete Obelisk, zwei Gedenkzeugnisse für Christians IV. einige Jahre zuvor verstorbenen Vater Friedrich II. (1534-1588), gemeint sind. Am Abend hätten dann die Hamburger durch ihren gelehrten Staatssekretär Sebastian von Bergen (1554-1623) etliche Fass Wein sowie mehrere Tonnen des überregional geschätzten Hamburger Bieres anliefern lassen und dem in der Regel fernen Herrscher, der einige Tage später auch die Hansestadt selbst besuchte, außerdem zahlreiche Lachse, Neunaugen und Störe verehrt.
Der Statthalter habe sodann am folgenden Tag, dem 21. September, die königliche Majestät samt den anwesenden Räten und Adligen auf das Haus zu Segeberg gebeten und sie „nach angehörter Predigt“ und anschließender Mahlzeit zu einem ausgiebigen Bankett geladen, das sich mit Tanz und frohem Treiben bis in den Abend hingezogen hätte. Bei dieser Gelegenheit habe der Herrscher die Gemächer des Hauses in Augenschein genommen und die nahe Kalkgrube besichtigt. Außerdem wurde der festliche Rahmen des Banketts für den Austausch zeremonieller Ehrengeschenke genutzt. So bekam der Herrscher von einem Adligen ein türkisches Pferd samt einem gefangenen Türken verehrt, der Christian durch den Freiherrn und Kaiserlichen Rat Ehrenfried von Minckwitz († 1615) übermittelt worden war, wofür der Herrscher diesem im Gegenzug seinerseits eine „ansehnliche Verehrung“ übermitteln ließ.
Bereits am folgenden Tag, dem 22. September, setzte sich die königliche Entourage samt Tross wieder in Bewegung und erreichte, jetzt vergrößert um Heinrich Rantzau, weitere Räte und Bedienstete, bis zum Abend das vier Meilen (etwa 30 Kilometer) von Segeberg gelegene Bargteheide, wo man sich vom dortigen Amtmann Claus von der Wisch verpflegen und für die Nacht unterbringen ließ. Weiter führte der Weg die fürstliche Reisegesellschaft in den folgenden Tagen und Wochen über Hamburg, Winsen und Lüneburg, wo man sich u. a. die Kirchen, die Goldene Tafel, d. h. das Hochaltarretabel der vormaligen Benediktinerklosterkirche St. Michaelis, und die Saline zeigen ließ, dann weiter über Ebstorf, Celle, Wolfenbüttel, Braunschweig und Magdeburg bis in die Mark Brandenburg und über Mecklenburg wieder zurück nach Dänemark, wobei sich Heinrich Rantzau mit den holsteinischen und jütischen Begleitern des Königs in Güstrow von der Gruppe verabschiedete, während diese auf dem Seeweg über Warnemünde wieder nach Dänemark gelangte.
Unterwegs vergnügte man sich auf der Jagd, vertrieb sich die Langeweile mit Wettschießen, verzockte nicht unerhebliche Geldbeträge beim Glücksspiel und gefiel sich im zeremoniellen Miteinander bei Hofe. Uns bietet dieser Bericht tiefe Einblicke in den Alltag des königlichen Hofes auf der Reise. So erfahren wir nähere Einzelheiten über die Tätigkeiten, die ein gelehrter Königsdiener wie Heinrich Rantzau in diesem Zusammenhang zu verrichten hatte: Leute wie er waren gefragt, wenn es für Gastung und in diesem Zusammenhang überreichte Geschenke, für freundlichen Empfang, gelehrtes Herrscherlob und dem Herrscher zugeeignete Bücher wortgewandt zu danken galt. Insgesamt war man mehrere Wochen lang unterwegs, bis Heinrich Rantzau am 16. November wieder an seinem Amtssitz Segeberg anlangte und damit Gerüchte, er sei im Braunschweigischen, wo man zur Eberjagd ausritt, eines unnatürlichen Todes gestorben, Lügen strafte.
Neben den zahlreichen interessanten Einzelheiten, die die Berichte von 1595 über die Reise Christians IV. an die Höfe seiner norddeutschen Fürstenkollegen zum Alltag des Reisens enthalten, lassen sie doch insbesondere die damalige Bedeutung Segebergs im Rahmen der nordelbischen Landesherrschaft des dänischen Königs hervortreten: So hielt sich Christian hier bei dieser Gelegenheit, von Hamburg einmal abgesehen, länger auf als an allen anderen Orten Schleswigs und Holsteins. Außerdem ließ er sich durch bewaffnete Abordnungen der Bürger von Oldesloe und Segeberg huldigen, hielt im „königlichen Haus zu Segeberg“ regelrecht Hof und empfing die durch den Hamburger Staatssekretär vermittelten Naturalleistungen gleichsam als Anerkennung seiner sich auf die Elbmetropole erstreckenden holsteinischen Landesherrschaft.
Der königliche Amtmann Heinrich Rantzau, für den das Umfeld seines Amtssitzes Segeberg neben dem Raum um Itzehoe und die Rantzausche Breitenburg von besonderer Bedeutung war, hatte das Seine dazu beigetragen, die Bühne für das königliche Handeln zu bereiten, und sicherte einen störungsfreien Ablauf des wohlinszenierten herrscherlichen Aufenthaltes am Fuße des Kalk- bzw. Gipsberges. Dies war Teil der Rollenverteilung zwischen dem königlichen Landesherrn und seinem Stellvertreter in den Herzogtümern. Rantzau kam dabei die Rolle des Ersten unter den adligen Fürstendienern im Lande zu. Er war nicht nur als Leiter der Amtsgeschäfte in Segeberg und als Statthalter des königlichen Landesherrn in den Herzogtümern, sondern gerade durch die vielfältigen Funktionen, die er darüber hinaus für den Landesherrn wahrnahm, ungemein wichtig für diesen und sein effizientes und erfolgreiches Wirken im Land zwischen den Meeren, aber durchaus auch darüber hinaus: Rantzau vermittelte mit seinen schriftlich abgefassten Berichten („Relationen“) Informationen an den Hof, die ihm Korrespondenten aus nah und fern zuspielten, wusste aus einem erheblichen Erfahrungsschatz zu raten, verstand es, Konflikte beizulegen und Gegner miteinander zu versöhnen, und fand vor allem stets den rechten Ton, wenn es darum ging, herrscherliches Handeln nach außen zu kommunizieren. All dies tat er nicht nur von der Breitenburg, sondern vor allem auch von Segeberg aus, das für die damalige Zeit als einer der zentralen Orte im Land zwischen den Meeren hervortritt. Nicht von ungefähr bezeichnete der holsteinische Kanzler Wolfgang von Utenhof († 1542) die Segeberger Burg bereits 1535 im Rahmen der Verhandlungen mit den Hansestädten – ungeachtet der in den Kämpfen des Jahres 1534 erlittenen Zerstörungen – als „Hauptschloß im Lande Holstein“.